Die Lufthansa-Tochter Eurowings treibt ihre Produkt- und Serviceoffensive weiter voran und wird ab November 2025 erstmals eine echte Business-Class auf der Mittelstrecke anbieten. Damit wird Eurowings zum internen Innovationslabor für den Lufthansa-Konzern, der mit diesem Schritt die Zahlungsbereitschaft der Kundschaft für mehr Komfort auf sogenannten Schmalrumpfstrecken testet. Die erste Verbindung mit dem neuen „Premium BIZ Seat“ ist die Strecke von Berlin nach Dubai – ein knapp sechsstündiger Flug, der bislang unter Komfortaspekten eher als Grenzerfahrung galt.
Statt auf bereits etablierte Lösungen wie jene von Safran (Safran Aktie) – bekannt aus anderen Lufthansa-Ablegern wie ITA Airways – zu setzen, entschied sich Eurowings für den italienischen Hersteller Geven. Zum Einsatz kommt dessen Topmodell Comoda, das mit einer Rückenlehne, die sich deutlich neigen lässt, einer ausfahrbaren Fußablage und einem verlängerten Sitzmaß von 1,20 Metern für deutlich mehr Komfort sorgen soll. Der Sitzabstand beträgt 99 Zentimeter – ein deutliches Plus gegenüber den rund 71 Zentimetern der Economy Class.
Der neue „Premium BIZ Seat“ wird innerhalb der bekannten BIZclass-Struktur angeboten, bei der bisher der Mittelsitz frei bleibt. Künftig sollen stattdessen nur noch zwei breite Business-Sitze pro Reihe installiert werden, wodurch allerdings pro Kabine zwei Reihen mit jeweils vier Sitzen eingebaut werden. Daraus ergeben sich acht Sitze je Flugzeug – auf Kosten von zwölf bisherigen Sitzen in der alten Business-Class-Konfiguration. Damit verliert Eurowings effektiv vier buchbare Plätze pro Flug.
Die Einführung der neuen Sitze ist Bestandteil eines ökonomischen Experiments, wie Eurowings-CEO Jens Bischof offen einräumt. „Wenn wir diesen Test erfolgreich umsetzen können – und damit meine ich natürlich auch die Betriebswirtschaft –, dann ist eine Ausweitung auf weitere Strecken geplant“, erklärte er bei einer Pressekonferenz in Frankfurt. Ob die Kundschaft bereit ist, für mehr Komfort einen spürbaren Aufpreis zu zahlen, soll die kommende Wintersaison zeigen.
Der Einbau der neuen Sitze hat auch operative Auswirkungen: Ein höheres Gewicht bedeutet mehr Kerosinverbrauch, bei gleichzeitig geringerem Ticketvolumen. Diese Kosten sollen über den Preisaufschlag kompensiert werden. Konkrete Zahlen nannte Bischof zwar noch nicht, stellte jedoch klar, dass Eurowings preislich unterhalb der klassischen Netzwerkcarrier bleiben wolle.
Branchenkenner wie Moritz Lindner von Reisetopia sehen hierin einen deutlichen Test der Zahlungsbereitschaft: „Mit den neuen Sitzen wird man den wirtschaftlichen Test machen, ob auch konstant vierstellige Preise realisierbar sind“, so Lindner in einer Kolumne.
Zunächst werden zwei Maschinen des Typs Airbus A320neo mit dem neuen Sitzkonzept ausgestattet. Eine wird exklusiv für die Dubai-Verbindung reserviert, die andere steht als Reserve bereit – und könnte so auch auf anderen Strecken zum Einsatz kommen. Die Entscheidung für den A320neo fällt nicht zufällig: Der moderne Jet bietet im Vergleich zu älteren Varianten nicht nur eine größere Reichweite, sondern auch verbesserte Treibstoffeffizienz – ein Vorteil, der in Anbetracht der Gewichtszunahme durch die neuen Sitze besonders relevant ist.
Perspektivisch soll die neue Kabinenausstattung auch auf die Boeing 737 MAX-8 ausgeweitet werden. Eurowings erwartet ab 2027 insgesamt 40 dieser Maschinen, mit denen sich das Streckennetz durch Nonstop-Verbindungen deutlich erweitern lässt.
Die neue Business-Class ist mehr als nur ein Produkt-Upgrade. Sie steht exemplarisch für eine strategische Neuausrichtung innerhalb des Lufthansa-Konzerns. Während Lufthansa (Lufthansa Aktie) selbst eher auf Langstrecken fokussiert und SWISS, Austrian Airlines oder ITA als Premiumanbieter positioniert, übernimmt Eurowings verstärkt die Rolle des Innovationsträgers für die Mittelstrecke. Die Tests könnten – bei Erfolg – auf andere Gesellschaften des Konzerns ausgedehnt werden. Das verspricht Synergien, insbesondere im Hinblick auf Kabinenkonzepte, Einkaufskonditionen und Markenführung.
Bischof fasst zusammen: „Wir erproben schon in diesem Jahr die Mittelstrecke der Zukunft.“ Die Frage ist: Wird die zahlungsbereite Klientel im hart umkämpften Ferienflugmarkt den Aufpreis für mehr Komfort akzeptieren?
Parallel zur Komfortoffensive bei Eurowings steht die Lufthansa-Gruppe im Zentrum juristischer Auseinandersetzungen. Nach Luxair hat nun auch die deutsche Condor Klage gegen die Genehmigung der Übernahme von ITA Airways durch die EU-Kommission eingereicht. Beide Airlines kritisieren, dass die verhängten Auflagen nicht ausreichen würden, um faire Wettbewerbsbedingungen zu sichern.
Hintergrund ist die schrittweise Übernahme der italienischen Nachfolgerin von Alitalia durch Lufthansa. Seit Januar 2025 hält der MDAX-Konzern 41 Prozent an ITA, weitere Schritte bis zur vollständigen Übernahme sind vorgesehen. Als Ausgleich für die Marktverzerrung mussten Lufthansa und ITA unter anderem Start- und Landerechte in Rom und Mailand abgeben – diese gingen an EasyJet.
Condor und Luxair sehen darin jedoch keinen ausreichenden Ausgleich. Die juristische Auseinandersetzung könnte den Zusammenschluss weiter verzögern – mit möglichen Folgen für die strategische Positionierung der Lufthansa-Gruppe im südeuropäischen Markt.
Hinzu kommt ein strukturelles Problem, das alle europäischen Airlines betrifft: Lieferverzögerungen bei Boeing und Airbus führen zu erheblichen Engpässen bei der Flugzeugverfügbarkeit. EasyJet-CEO Kenton Jarvis betonte zuletzt, dass man für die Sommermonate nur mit einem Kapazitätsanstieg von ein bis drei Prozent rechne – trotz hoher Nachfrage. Hauptgrund seien die Verzögerungen bei Flugzeugauslieferungen.
Boeing konnte im April 2025 zwar 45 Maschinen ausliefern – fast doppelt so viele wie im Vorjahr – doch bleiben diese Zahlen hinter den eigentlichen Zielen zurück. Airbus wiederum lieferte im gleichen Monat 56 Jets aus, was einem Rückgang von acht Prozent entspricht.
Für Eurowings und den Lufthansa-Konzern bedeutet das: Die strategische Flottenplanung bleibt eine Herausforderung. Gerade für neue Produktinitiativen wie die Business-Class auf der Mittelstrecke wird jedes verfügbare Flugzeug zur knappen Ressource.
Mit der Einführung einer echten Business-Class auf der Mittelstrecke geht Eurowings einen mutigen Schritt, der über die Einzelmaßnahme hinausgeht. Der Konzern testet nicht nur neue Produkte, sondern auch die Zahlungsbereitschaft und Präferenzen seiner Kundschaft. Gleichzeitig steht das Unternehmen unter wirtschaftlichem Druck: Die neue Klasse muss sich nicht nur komfortabel anfühlen, sondern auch betriebswirtschaftlich tragen.
Zudem wird die Expansion durch strukturelle Probleme in der Luftfahrtindustrie – etwa Engpässe bei Flugzeuglieferungen – ausgebremst. Und auf der konzerneigenen Ebene droht juristischer Gegenwind im Zusammenhang mit der ITA-Übernahme.
Für die Kernzielgruppe aus Geschäftsreisenden und komfortbewussten Privatreisenden der Generation 40+ ergibt sich dennoch ein attraktives Angebot. Ob daraus ein flächendeckendes Modell für die Mittelstrecke wird, entscheidet sich aber erst nach dem ökonomischen Praxistest im Winter 2025/26.
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