Das deutsche Mobilitätsunternehmen Flix SE, bekannt durch seine grünen Fernbusse und Züge, hat einen der größten Aufträge in seiner Unternehmensgeschichte vergeben. Am Dienstag kündigte Flix den Kauf von bis zu 65 neuen Hochgeschwindigkeitszügen an. Die Fahrzeuge werden vom spanischen Hersteller Talgo geliefert, während die Lokomotiven von Siemens Mobility stammen. Das Gesamtvolumen des Auftrags beläuft sich auf bis zu 2,4 Milliarden Euro. Ein erster Festauftrag über 30 Züge hat bereits einen Wert von 1,06 Milliarden Euro.
Mit dieser Investition verlässt Flix seine bisherige „Asset-Light“-Strategie, nach der das Unternehmen auf den Kauf eigener Fahrzeuge weitgehend verzichtete. Stattdessen setzte man bislang auf Kooperationen mit Partnerunternehmen, die Busse und Züge stellten. Nun erfolgt ein strategischer Kurswechsel – mit deutlich höherem Kapitaleinsatz und langfristiger Ausrichtung.
Die neuen Züge basieren auf der Plattform Talgo 230, die bereits von der Deutschen Bahn als „ICE L“ und in anderen Ländern wie Dänemark eingesetzt wird. Die Wagen zeichnen sich durch eine maximale Geschwindigkeit von 230 km/h aus, barrierefreie Einstiege, WLAN, Klimatisierung und internationale Mehrsystemfähigkeit. Die Triebfahrzeuge stammen aus der Vectron-Baureihe von Siemens und ermöglichen den Betrieb auch auf elektrifizierten Strecken mit verschiedenen Stromsystemen – ein entscheidender Vorteil für grenzüberschreitende Verbindungen in Europa.
CEO und Mitgründer André Schwämmlein betonte, dass die neuen Züge auf dem gesamten deutschen Schienennetz zugelassen werden sollen, einschließlich der Hochgeschwindigkeitsstrecken. Ziel ist es, mit einem wettbewerbsfähigen Angebot sowohl im Inland als auch international zu expandieren.
Mit dem Einstieg in den Besitz von Hochgeschwindigkeitszügen will Flix eine ernsthafte Alternative zur Deutschen Bahn im Fernverkehr darstellen. „Wir wollen nicht nur beim Zug selbst, sondern auch beim Netz und dem digitalen Produkt ein Angebot machen, das sich vor keinem Staatsbahnbetreiber verstecken muss“, so Schwämmlein.
Während viele ICE-Züge der Deutschen Bahn Geschwindigkeiten von bis zu 300 km/h erreichen können, ist die tatsächliche Durchschnittsgeschwindigkeit im Regelbetrieb aufgrund infrastruktureller Einschränkungen oft deutlich geringer. Hier setzt Flix mit wirtschaftlicheren, jedoch ebenfalls schnellen und effizienten Zügen an. Die Vectron-Loks von Siemens und die modulare Bauweise der Talgo-Wagen bieten zudem niedrigere Betriebskosten und höhere Flexibilität.
Der Zugkauf wird laut Unternehmensangaben aus einer Mischung aus Eigenkapital und Krediten finanziert. Flix betont, dass man erstmals die finanzielle Kraft besitze, solch eine Großinvestition aus eigener Bilanz zu stemmen – ein Hinweis auf die stabile Finanzlage und neue Eigentümerstruktur des Unternehmens.
Nach dem abgesagten Börsengang im Jahr 2023 beteiligten sich der schwedische Finanzinvestor EQT, Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne sowie die Porsche SE mit insgesamt 35 Prozent an Flix. Diese Investoren stehen laut Insidern geschlossen hinter der neuen Expansionsstrategie. Insbesondere EQT habe bei der Strukturierung der Finanzierung intensiv unterstützt.
Ein weiteres Hindernis - die eingeschränkte Wiederverwertbarkeit gebrauchter Züge auf dem europäischen Markt - wurde in der Finanzierungsplanung berücksichtigt. Flix plant nach eigenen Angaben nicht, die neuen Fahrzeuge wieder zu verkaufen, sondern langfristig im eigenen Betrieb zu halten.
Der Hochgeschwindigkeitszugmarkt in Europa wächst laut einer Studie der Unternehmensberatung OC&C zwischen 2021 und 2030 jährlich um 4 bis 5 Prozent. In Deutschland wird für diesen Zeitraum ein Wachstum von insgesamt 45 Prozent erwartet. Dieses Marktpotenzial will Flix mit seiner neuen Flotte erschließen.
Bereits heute betreibt FlixTrain ein Netz, das 50 Städte in Deutschland direkt verbindet. Durch Kooperationen ist ein Zugang zu über 650 Zielen möglich. Schwämmlein kündigte an, das neue Angebot solle nicht nur bestehende Marktanteile verschieben, sondern den gesamten Zugmarkt vergrößern: „Wir wollen mehr Menschen dazu bewegen, den Zug zu nutzen.“
Flix verweist in diesem Zusammenhang auch auf Versäumnisse der Deutschen Bahn, insbesondere im grenzüberschreitenden Verkehr. Zwar wurde kürzlich in Zusammenarbeit mit der italienischen Trenitalia und der österreichischen ÖBB eine neue Verbindung zwischen München und Mailand eingeführt. Dennoch sieht Flix große Lücken in diesem Segment und die Chance, diese mit einem flexiblen und länderübergreifenden Angebot zu schließen.
Die politische Unterstützung für die Expansionspläne ist vorhanden. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder lobte die Entscheidung von Flix öffentlich und bezeichnete sie als „starkes Signal für den Schienenmarkt“. Er betonte, dass Investitionen dieser Größenordnung durch ein deutsches Technologieunternehmen ein positives Beispiel für den Bahnsektor darstellen.
Schwämmlein verwies außerdem auf Pläne der Bundesregierung, das Schienennetz mit Mitteln aus dem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro zu modernisieren. Er zeigte sich zuversichtlich, dass damit die derzeitigen Engpässe, insbesondere bei den Trassenpreisen und der Netzqualität schrittweise abgebaut werden könnten.
Mit der Bestellung von 65 Hochgeschwindigkeitszügen setzt Flix ein klares Zeichen: Das Unternehmen plant, im europäischen Bahnmarkt eine zentrale Rolle zu spielen. Der Einstieg in den Besitz eigener Fahrzeuge markiert eine strategische Neuausrichtung, die nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Deutschen Bahn erhöht, sondern auch neue Maßstäbe im grenzüberschreitenden Personenverkehr setzen könnte. Die Kombination aus technischer Innovation, politischer Unterstützung und fundierter Finanzierung stellt ein solides Fundament für diese Expansion dar.
Während der Bahnmarkt in Europa bisher stark durch staatliche Anbieter geprägt war, deutet das Beispiel von Flix darauf hin, dass private Akteure mit klarer Strategie und technologischem Fokus zunehmend Marktanteile gewinnen können. Entscheidend wird jedoch sein, wie schnell und effizient das Unternehmen seine neuen Züge in Betrieb nehmen und das Versprechen eines europäischen, flexiblen Hochgeschwindigkeitsnetzes einlösen kann.
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